Wie sollen Eltern und Schulen mit Kindern mit Behinderung umgehen? Welche Rolle sollte die Politik dabei spielen? Eltern sowie Fachleute haben im Neufahrner Rathaus vor Kurzem über konkrete Fragen und Probleme zur Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Handicap diskutiert. Kein einfaches Thema: Sowohl Eltern als auch Schulen fühlen sich oft alleingelassen, wie sich bei der Veranstaltung zeigte.
Als Gesprächspartnerinnen hatte die Gemeinde Neufahrn Cornelia Hoffmann, Inklusionspädagogin und Mitglied der Freisinger Initiative für Inklusion (FINI), und Irmengard Hierhager, Sozialpädagogin und ebenfalls FINI-Mitglied, eingeladen. Etwa 25 Personen waren in den Sitzungssaal gekommen.
Das Thema der Veranstaltung betraf viele der Anwesenden persönlich. Cornelia Hoffmann und Irmengard Hierhager sprachen nicht nur als Pädagoginnen, sondern, wie sie sagten, „vor allem als Eltern von Kindern mit Behinderungen“. Cornelia Hoffmann hat zwei Töchter mit Seh- und Hörbehinderungen. Moritz, der 13-jährige Sohn von Irmengard Hierhager, hat Trisomie 21. Sozialreferentin Beate Frommhold-Buhl organisierte die Veranstaltung nicht nur wegen der Eröffnung einer dritten Schule in Neufahrn, sondern auch aus persönlichen Gründen. Ihre Tochter besuchte einen Kindergarten, in dem Inklusion einwandfrei funktionierte, wie sie berichtete. Das Thema liege ihr besonders am Herzen.
Die Diskussion dauerte fast zwei Stunden und war von großer Leidenschaft geprägt – auch weil die angesprochenen Probleme die Beteiligten persönlich berührten. Der erste Themenbereich war das Schulsystem in Bayern. Hierhager sprach von den sogenannten Tandem-Klassen, in denen ein Lehrertandem aus einer Regelschullehrkraft und einer Lehrkraft für Sonderpädagogik unterrichtet. Diese Klassen seien ideal, da „dort ein gemeinsamer Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit sehr hohem sowie ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ermöglicht wird“.
Die wichtigste Frage lautete jedoch: Wie bekommt man Inklusion hin? Um sie zu beantworten, griffen die meisten Teilnehmenden auf eigene Erfahrungen zurück. Sozialpädagogin Hierhager erzählte von ihren Schwierigkeiten in den Neufahrner Schulen. Eltern von Kindern mit Behinderungen seien in vielen Dingen stark benachteiligt. Der Einschulungsprozess könne bis zu zwei Jahre länger dauern als bei anderen Kindern, was die Inklusion nochmals deutlich erschwere. „Man vergisst dabei, dass jeder Mensch ein Recht auf Inklusion und Teilhabe hat“, betonte die Sozialpädagogin.
„Dieses System stützt sich auf ausgebeutete Frauen“
Cornelia Hoffmann thematisierte das Problem des Fachkräftemangels in den Schulen: „Bei Ausfall von pädagogischen Kräften dürfen Kinder mit Behinderungen nicht in die Schulen, obwohl es in Deutschland eine Schulpflicht gibt.“ Die Inklusionspädagogin fügte hinzu, dass die pädagogischen Kräfte meistens Frauen sind, die einen Mindestlohn bekommen. „Dieses System stützt sich auf ausgebeutete Frauen“, kritisierte Hierhager.
Schwierigkeiten gibt es auch auf Seiten der Schulen. Marietta Hager, Rektorin der Jo-Mihaly-Mittelschule in Neufahrn, erklärte, dass sie, obwohl sie positive Erfahrungen mit Inklusionskindern in ihrer Schule gemacht habe – Hierhagers Sohn Moritz besuchte die Jo-Mihaly-Mittelschule zwei Jahre lang – „in Zukunft zögerlicher mit Inklusion sein wird“. Ihre Kollegen seien oft überfordert „und machen alles on top“. Die Aussagen der Rektorin führten zu einer lebhaften Diskussion im Saal. Nicht nur die Eltern seien die vom Staat Alleingelassenen, sondern auch die Schulen, hieß es.
„Die Inklusion stellt für die Lehrkräfte eine große Herausforderung dar, da oft eine zusätzliche Betreuung erforderlich ist“, sagte der Neufahrner Schulreferent Thomas Seidenberger. „Wenn es möglich ist, nehmen wir jedoch immer Inklusionsschüler auf, da sie eine große Bereicherung für die gesamte Klasse sind.“ Sozialpädagogin Hierhager wies darauf hin, dass Studien belegten, dass „Kinder in heterogenen Klassen mehr lernen als in homogenen Klassen“.
„In meiner Utopie gäbe es keine Förderschulen mehr.“
Ist es möglich, dass in Bayern kein umfassendes Konzept für inklusive Schulen vorgesehen ist? Diese Frage stellte Cornelia Hoffmann. Dabei gebe es in anderen Ländern funktionierende Inklusionsmodelle. Südtirol und Finnland wurden in dieser Hinsicht als Vorbilder im Plenum genannt. Dort werden alle Kinder bis zur achten Klasse gemeinsam unterrichtet.
Als die Sozialreferentin Frommhold-Buhl die Frage äußerte, wie man sich dem Ziel einer vollständig inklusiven Schule nähern könne, wurde es im Saal kurz still. Cornelia Hoffmann ergriff dann das Wort: „In meiner Utopie gäbe es keine Förderschulen mehr. Alle Kinder müssten in den Regelschulen aufgenommen werden.“ Eine Studie habe nachgewiesen, dass, wenn alle Förderschulen aufgelöst würden, maximal ein bis zwei Kinder mit Behinderung in jeder Regelschulklasse wären. „Man bräuchte dann mehr Lehrkräfte, aber die wären vorhanden“, bekräftigte Irmengard Hierhager.
Die Sitzung im Neufahrner Rathaus endete mit einer positiven Note: Die Inklusion in den Schulen hat sich im Laufe der Jahre verbessert, und das Bewusstsein für die bestehenden großen Probleme wächst. Es lässt sich auf jeden Fall nicht leugnen, wie Thomas Seidenberger am Ende verdeutlichte, dass die Schule Inklusion zu ihrer Aufgabe machen sollte, weil nur „Bildung wahre Integration schaffen kann“.