2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Eigentlich kann man's ja nicht mehr hören, diesen andauernden Vorwurf an die Bundesregierung oder an die Politik insgesamt, sie würde den Bürgerinnen* nicht zuhören. Andererseits, manchmal hat man schon den Eindruck, der ganze Politikbetrieb kommuniziert im Twitter-Modus: Anstatt zu diskutieren (was ein Zuhören voraussetzen würde), wird nur noch die eigene vorgefasste Agenda gesetzt.
Das kennen wir auch beim Thema inklusive Bildung. Es ist völlig einerlei, welchen Aspekt des komplexen Themas Sie mit einer Politikerin* besprechen. Ob es um wohnortnahe Schulplätze geht, um Unterrichtsqualität oder um Aktionspläne: Die Antwort ist immer nur „Elternwahlrecht“. Und dann wissen Sie: Er/Sie* hat gar nicht zugehört. Das ist nicht höflich und, nebenbei gesagt, auch nicht klug.
Geradezu unverfroren ist aber das Verhalten von Bundessozialminister Hubertus Heil und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie wurden in einem Offenen Brief, der immerhin von mehr als 140 zum Teil großen und bundesweit tätigen Organisationen mitgezeichnet wurde, aufgefordert ihre Verantwortung für die einheitliche und angemessene Umsetzung des (mit der Ratifizierung der UN- Behindertenrechtskonvention bundesgesetzlich ((!!!)) verankerten) Rechts auf inklusive Bildung im gesamten Land wahrzunehmen. Das mag eine unangenehme Forderung sein, weil bei diesem Thema Konflikte mit den Ländern absehbar sind. Aber ist es ein angemessener Umgang mit Bürgerinnen* und ihrem berechtigten Anliegen, den Brief einfach komplett zu ignorieren und gar nicht zu antworten?
Interessant ist, dass in der Bundesregierung selbst dem eigenen Behindertenbeauftragten nicht zugehört wird. Die Wortmeldungen von Jürgen Dusel zur inklusiven Bildung sind seit Monaten an Deutlichkeit kaum noch zu überbieten. Doch selbst aus dem eigenen Ministerium kommt keinerlei Reaktion. Hier passt Jürgen Dusels Zitat ebenso gut wie beim Thema inklusive Bildung: „Es geht um die Frage, in welchem Land wir leben wollen“.
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🎉 Jubiläum: Drei Jahre Inklusions-Pegel. Und immer noch jede Menge zu tun in Sachen inklusiver BiIdung. Wir machen weiter!!! Wir haben den Newsletter überarbeitet und übersichtlicher gemacht. Bilder gibt es keine mehr, weil weniger Daten und weniger Arbeit. Wir hoffen, es gefällt
Medienschau Januar
Personal
/// Immer wieder fordern Experten, dass Schulen mit den größten Herausforderungen auch das meiste Personal zugeteilt werden sollte. Aktuell ist es genau umgekehrt: Ausgerechnet die Gymnasien sind vom Lehrkräftemangel am wenigsten betroffen:
/// Die Bundesregierung weigert sich hartnäckig, zur Verpflichtung der Länder, die UN-Behindertenrechtskonvention auch in den Schulen umzusetzen, Stellung zu nehmen. Allein der Bundesbehindertenbeauftragte spricht Klartext: „Bei der Inklusion an Schulen geht es nicht um irgendein reformpädagogisches Konzept, sondern um die Frage, in welchem Land wir leben wollen.“
///Am 10.Oktober haben mehr als 140 Organisationen und mehr als 1.400 Einzelpersonen die Bundesministerinnen* Hubertus Heil (Soziales) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung) aufgefordert endlich Verantwortung für die Realisierung der inklusiven Bildung im ganzen Land zu übernehmen. Bis heute haben die Ministerinnen* nicht geantwortet. (Nicht nur) Sigrid Arnade als Sprecherin der LIGA Selbstvertretung ist sauer: „wenn auf das Anliegen selbst eines solch breiten Bündnisses nicht einmal die leiseste Reaktion erfolgt, dann muss sich doch wirklich niemand mehr über Politikverdrossenheit wundern“.
///Den Bürgerinnen* antwortet die Bundesregierung nicht, aber bei Bundestagsabgeordneten kann sie sich nicht drücken. Dem CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe erklärte sie, dass gar nicht beabsichtigt sei, den Eltern behinderter Kinder und den sie unterstützenden Organisationen zu antworten. Hüppe kommentiert: „Die Ampel versucht sich herauszureden, statt konsequent zu handeln. Dass sich der Bund in die Schulpolitik der Länder einmischt, ist nicht neu. Beispiel: das Förderprogramm zum technischen Ausbau der Schulen „Digitalpakt Schule“. Darüber hinaus besteht für den Bund die Möglichkeit, über die Gremien der Kultusministerkonferenz Initiative zu ergreifen und Impulse für eine umfassende und bundesweite Inklusionsstrategie zur Bildung zu starten.“
Hubert Hüppe
Schriftliche Frage des Abgeordneten Hubert Hüppe der Fraktion der CDU/CSU
///Zum „Tag der Bildung“ rückt die Aktion Mensch gerade, dass die inklusive Bildung, die schulpolitisch ständig als Problem diskutiert wird, tatsächlich die Lösung aktueller Probleme an den Schulen ist:
kobinet Nachrichten
Tag der Bildung: Inklusive Bildung ist die Lösung, nicht das Problem
///Das Portal Bildungsklick stellt im Gespräch mit Expertinnen* der Humboldt-Universität zusammen, zu welchen Fehlentwicklungen es bei der inklusiven Bildung gekommen ist und was es braucht, um endlich voranzukommen:
bildungsklick
Inklusionsbestrebungen an Deutschlands Schulen gescheitert?
///Unser Tweet des Monats bringt die Debatte um Erfolg und „Scheitern“ der inklusiven Bildung sehr treffend auf den Punkt:
X / ChronicMum
Wenn ich ein Grundstück kaufe, Zementsäcke, Schaufeln und Ziegel drauf lege, dann zehn Jahre warte, wieder hingucke und da kein Haus steht, dann kann ich nicht sagen, der Hausbau wäre gescheitert. Inklusion wird in Deutschland noch gar nicht umgesetzt, sie ist nicht gescheitert!
///Vor dem Kölner Rathaus machte eine kleine Demo von Schülerinnen* und Eltern deutlich, was so alles schiefläuft: Den Eltern wird das Gemeinsame Lernen für ihre Kinder zu schwer gemacht. Die Schulwege sind weit, aber eine Schülerbeförderung wird von der Stadt verweigert. Eine ganze Schulklasse protestierte, weil ein Mitschüler deshalb seit dem vergangenen Sommer nicht zur Schule kommen kann. Und gleichzeitig tagt der Schulausschuss des Kölner Stadtrats u.a. zu den Plänen, in der Stadt gleich zwei neue Förderschulen zu bauen:
///Auch der Kölner Stadt-Anzeiger stellt die Verbindung her zwischen den Erschwernissen im Gemeinsamen Lernen und den immensen Investitionen, die die Stadt Köln in den Bau von zwei zusätzlichen Förderschulen stecken will. Inzwischen hat der Schulausschuss des Rates auf den Protest der Eltern und der Schülerinnen* reagiert und die Verwaltung beauftragt, neue Planungen für die Schullandschaft im neu entstehenden Stadtteil Kreuzfeld vorzulegen.
Kölner Stadt-Anzeiger
Protest gegen den Bau von neuen Förderschulen in Köln (Paywall)
///Die neue hessische Landesregierung zeigt wenig Ehrgeiz, bei der Inklusion in den Schulen voranzukommen. Der Landesverband Sonderpädagogik dagegen legt dar, dass die Politik sich bewegen muss:
HNA
Experte zu inklusivem Unterricht: „Präventive Arbeit lohnt sich“
///Die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Lernens in Hamburg hat über die Corona-Zeit gelitten, weil die Tätigkeit der Arbeitskreise und des Beirats Inklusion zum Teil eingeschlafen ist. Die Folge zeigt sich nun offenbar in vielen Beschwerden bei der Ombudsstelle des Senats. Der Blog Inklusion in Hamburg fasst zusammen:
Inklusion in Hamburg
Die inklusive Bildung in Hamburgs Schulen steckt fest.
///Weil das Personal nicht reicht und die Schulentwicklung hinterherhinkt, werden immer mehr Kinder in den Schulen von Schulbegleiterinnen* unterstützt. Ohne sie geht es in vielen Schulen nicht mehr. Aber mit ihnen geht es auch häufig nicht gut. Wie könnte die Situation verbessert werden?
///Die gleiche Frage, dieses Mal aus der Perspektive der Schulbegleiterinnen*: Ein Bericht aus dem Arbeitsleben unter prekären Arbeitsbedingungen und in einem oftmals frustrierenden Schulsystem.
///2017 ist unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung aufgestellt worden. Interessant, mal wieder hineinzuschauen. Was nämlich ständig überlesen wird, ist dass auch hier die Verwirklichung der inklusiven Bildung als wichtiges Ziel verankert ist: