2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
///Was tut man als Bürgerin*, wenn der Vorrang der inklusiven Bildung im Schulgesetz steht, aber die Kommunen die Inklusion an ihren Schulen vernachlässigen und stattdessen allüberall neue zusätzliche Förderschulen bauen?
Drei Elternvereine haben gegen den Kreis Unna in Nordrhein-Westfalen eine Beschwerde bei der Kommunalaufsicht eingelegt. Sie taten dies, nachdem sie jahrelang zusehen mussten, wie der Kreis und seine Kommunen so gar keine Aktivitäten entwickelten, die inklusive Bildung in den kommunalen Schulen voranzubringen, aber dann anfingen, den Bau zusätzlicher Förderschulen zu planen und zu genehmigen. Den Ausschlag gab eine Information des Kreises, dass bei einem der Förderschulbauten nun auch noch die Baukosten explodieren.
Dass neben vielen Landesregierungen auch die meisten Kommunen die UN-Behindertenrechtskonvention nur gleichgültig abwinken, ist für Betroffene immer wieder empörend. Aber wenn die Empörung nicht hilft, dann hilft vielleicht ein nüchterner Blick in gesetzliche Grundlagen.
Wenn ein Schulgesetz der inklusiven Bildung Vorrang einräumt und die Kommunen zu inklusiver Schulentwicklungsplanung verpflichtet, dann ist es ein Rechtsverstoß, wenn die Kommunen dies ignorieren. Und wenn Kommunen z.B. in ihrer Gemeindeordnung zu einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verpflichtet sind, dann sind millionenschwere Investitionen in Förderschulen, deren Bedarf erst durch die Vernachlässigung der inklusiven Schulentwicklung entstanden ist, eine rechtliche Überprüfung wert. Ein Recht dagegen zu klagen, haben die Bürger nicht. Aber sie können eine Beschwerde bei der Kommunalaufsicht stellen. Dann muss der Sachverhalt geprüft werden. Bei Rechtsverstößen muss die Kommunalaufsicht einschreiten, bis zur Rückholung von rechtswidrigen Beschlüssen.
Man darf gespannt sein, wie die Kommunalaufsicht im Fall der Beschwerde gegen den Kreis Unna entscheidet. Vielleicht liegt im Einzelfall anhand der Umstände kein Rechtsverstoß vor. Das könnte im nächsten Fall schon anders sein. In diesem Sinne: Unna ist überall!
Medienschau März
Jubiläum 1
///Seit 15 Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland nun rechtsgültig. Damit besteht die bundesgesetzliche Pflicht für die Länder, inklusive Schulsysteme zu schaffen. Die Kinder, die 2009 erstmals mit dem Recht auf inklusive Bildung eingeschult wurden, sind längst erwachsen. Was seither in der Schulpolitik erreicht wurde, bezeichnet der Spiegel als „mau“:
///In mehreren Bundesländern haben Elternverbände und -initiativen den Jahrestag genutzt, um Bilanz zu ziehen. Baden-Württemberg wartet zum Beispiel immer noch auf ein Schulgesetz, dass die Wende zur inklusiven Schule verankert:
Kobinet-Nachrichten
Gemeinsam Leben - gemeinsam lernen: Kein Jubiläum zum Feiern
///In Hessen kritisiert der Verband Gemeinsam leben – gemeinsam lernen, dass Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder an Förderschulen gedrängt würden. Die Pflicht zum Aufbau inklusiver Schulen bezeichnet die neue Landesregierung als „Systemdebatte“, die sie nicht führen will:
Gemeinsam leben - Hessen
15 Jahre UN-BRK - Kein Grund zum Feiern in Hessens Schulen
///Eltern in Berlin machen darauf aufmerksam, dass Schülerinnen* mit Behinderung zum Teil verkürzt beschult werden und der Senat die Sonderschulen sogar weiter ausbaue:
Berliner Bündnis für Inklusion
15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention, 15 Jahre Menschenrecht auf inklusive Bildung – Kein Grund zum Feiern in Berlin
///Eltern in Hamburg kritisieren, dass viele Kinder mit Behinderung immer noch auf bestimmte Schwerpunktschulen verwiesen werden, deren inklusive Schulentwicklung teils hinterherhinke. Allgemein sei die inklusive Entwicklung ins Stocken geraten:
Inklusion in Hamburg
Kein Grund zu feiern: 15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention, 15 Jahre Recht auf inklusive Bildung
///In Nordrhein-Westfalen zeigt der Elternverein mittendrin e.V. auf, dass die Entwicklung gekippt ist: Statt der inklusiven Bildung wird das Förderschulsystem ausgebaut:
///Die Zeit stellt in ihrer Bestandsaufnahme fest. „Es ist eine Art fragwürdige Superkompetenz, die Deutschland im Separieren von Kindern entwickelt hat.“ Der Artikel untersucht, warum die inklusive Entwicklung so schleppend vorankommt, obwohl die Forschung zeigt, dass Inklusion nicht nur notwendig ist, sondern auch die Bildungsqualität allgemein erhöhen würde:
///Ende Februar hat in Berlin die erste Follow-Up-Tagung zum Ergebnis der Staatenprüfung durch die UNO stattgefunden. Jetzt ist die Dokumentation erschienen:
Deutsches Institut für Menschenrechte
Ergebnisse der BRK-Konferenz: "Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenpüfung?"
///Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da, was die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention betrifft? Und in welchen Politikbereichen ist die Bilanz besonders schlecht? Dies zeigt eindrucksvoll eine neue wissenschaftliche Untersuchung:
Aktion Mensch
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention - Studie zum internationalen Vergleich der Fortschritte
///Drei Verbände haben gegen den Kreis Unna in Nordrhein-Westfalen Beschwerde bei der Kommunalaufsicht eingelegt. Sie gehen damit gegen mehrere Beschlüsse von Kreistag und Verwaltung vor, in denen es um den Bau neuer zusätzlicher Förderschulen geht. Der Ausbau des Förderschulsystems verstoße gegen das NRW-Schulgesetz. Die hohen Investitionen in diese Fehlentwicklung seien unwirtschaftlich. Die zuständige Bezirksregierung hat die Beschwerde angenommen und den Kreis Unna zu einer Stellungnahme aufgefordert:
Rundblick Unna
„Verstoß gegen geltendes Recht“: Beschwerde gegen millionenschweren Ausbau von Sonderschulen im Kreis Unna
///Der Protest gegen das Zwangs-Elterntaxi für Schülerinnen* mit Behinderung in Köln zieht immer weitere Kreise. Vor der vergangenen Sitzung des Schulausschusses protestierten gemeinsam mit den Eltern abermals Schülerinnen* inklusiver Schulen, dieses Mal von der renommierten Gesamtschule Holweide. Die Verweigerung des Schulbusverkehrs, so die Koordinatorin der Schule, verhindere Inklusion. Schülerinnen* mit wesentlicher Behinderung werden aus dem Gemeinsamen Lernen verdrängt:
Kölner Stadt-Anzeiger
"Hemmnis für Inklusion" Schüler protestieren in Köln wegen abgelehnter Schultransporte
///Die NRW-Landesregierung hat ein umfangreiches Gutachten über Qualität und Praxis der sonderpädagogischen Feststellungsverfahren in Auftrag gegeben. Anlass waren die stetig steigenden Zahlen von Schülerinnen* mit sonderpädagogische Förderbedarf. Das Gutachten liegt seit Dezember vor, ist aber immer noch nicht öffentlich. Im Schulausschuss des Landtags haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen* lediglich erste Empfehlungen vorgestellt.
WDR
Wie könnte man den Förderbedarf von Schülern besser ermitteln?
///Das NRW-Schulministerium hat Eckpunkte für die Verwendung der Gelder aus dem Bundes-Startchancenprogramm vorgestellt. Sechzig Prozent der Gelder sollen an Grund- und Förderschulen gehen. Ein Konzept, wie das Programm zur Stärkung inklusiver Schulen eingesetzt werden kann, gibt es dagegen nicht. Interessant: Die Länder Rheinland-Pfalz und Saarland sollen den Einsatz der Gelder für Förderschulen ausgeschlossen haben:
Bildungsklick
Kinderrechte achten - Chancengleichheit und Inklusion fördern!
///Gibt es eine Chance auf inklusive Bildung für ein Kind mit wesentlicher Behinderung – in Baden-Württemberg? Eine Geschichte aus Freiberg am Neckar zeigt, welchen Kampf dies erfordert:
LKZ.de (Paywall)
Der Wunsch nach gemeinsamem Lernen – zu Besuch bei einer Freiberger Familie mit einer besonderen Tochter
///Inklusive Bildung beschränkt sich im Bundesland überwiegend auf Schülerinnen* mit Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten, vor allem in der Sekundarstufe. Die 16jährige Anna gehört zu den rosa Einhörnern der Inklusion im Nordosten:
Zeit (Paywall)
Inklusionsschüler "Anna ist stolz, wenn sie Noten bekommt"
///Die Münchner Uni hat eine Simulationsstudie erstellt, wie Inklusion die bayerische Grundschullandschaft verändern würde:
Researchgate.net
Was wäre, wenn Bayern inklusive Schulen anstatt Förderschulen hätte? Eine räumlich-strukturierte Simulationsstudie zur inklusiven Bildungslandschaft basierend auf amtlichen Schulstatistiken von 2020
///„Nicht so gut, wie wir sein sollten“, beurteilt die rheinland-pfälzische Schulministerin die inklusive Entwicklung in ihrem Bundesland. Um das zu ändern, sollen Schülerinnen* mit Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten künftig bevorzugt in Grundschulen eingeschult werden. Der SWR fragt, ob das zu kurz gesprungen sei:
SWR1
Förderschulreform im kommenden Schuljahr, Ministerin Hubig will Anstrengungen noch einmal intensivieren
///Der Stadtstaat ist bundesweit Spitzenreiter in der inklusiven Entwicklung der Schulen. Warum das so ist, zeigt ein Blick in diese Diskussionsrunde der jüngsten Tagung:
Youtube
Impulse zur schulischen Inklusion in Bremen - Wofür wir einstehen. Woher wir die Kraft nehmen.
///Zum Welt-Down-Syndrom-Tag hat der Elternverein mittendrin e.V. das Sequel der TV-Dokureihe „Schwarzwälder Hirsch“ in den Kölner Filmpalast geholt. Nach dem Film wurde diskutiert – mit Beteiligten der TV-Doku und einem Kölner Auszubildenden mit Down-Syndrom:
Kölner Stadt-Anzeiger
Der Kölner Lucas Löffelmann wird Koch – trotz seiner Behinderung
///Die Kölner Gesellschaft inclutopia arbeitet an einem Infoportal zu inklusiven Freizeitangeboten für Jugendliche. Um das voranzubringen, sind alle Betroffenen in Köln zu einer Umfrage eingeladen:
Inclutopia gug
"Köln Inklusiv" - ein partizipativ erstellter Online-Freizeitplan für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und ihren Familien
///Kritikerinnen* haben vor der Kassenfinanzierung der vorgeburtlichen Bluttests auf Trisomien gewarnt, dass das Angebot sich zu einem Massenscreening auf Föten mit Trisomien entwickeln würde. Erste Untersuchungen aus Bremen und Zahlen des Verbands GKV deuten nun darauf hin, dass der Test nicht wie vorgesehen nur in begründeten Einzelfällen eingesetzt wird, sondern auf dem Weg zum Standard in der Schwangerschaftsvorsorge ist. Nach Schätzungen wird er bereits bei einem Drittel der Schwangerschaften eingesetzt. Nun soll es auf Initiative Bremens eine erneute Bundestagsdebatte geben:
Kobinet Nachrichten
Nicht-Invasiven Pränataltest: Auf Bremer Bundesratsinitiative folgt Bundestagsdebatte