2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Haben Sie schon einmal unseren Bundesfinanzminister Christian Lindner direkt getroffen und sprechen hören? Das ist beeindruckend und unterscheidet sich gar nicht vom Erlebnis, ihm in den Nachrichten oder bei Maischberger zu lauschen. Diese unerschütterliche Überzeugtheit! Diese autoritätsgetränkte Stimme! Dieser Gestus von „ich habe den Mut und sage Ihnen jetzt etwas, das Ihnen nicht gefallen wird und das werden Sie sich anhören müssen“!
Allein dafür hätte sich der Abend bei der „Wirtschaftsnacht Rheinland“ des Kölner Stadt-Anzeigers gelohnt. Aber eigentlich waren wir dort, weil der mittendrin e.V. neben herausragenden Unternehmensgründerinnen*, Nachhaltigkeitschampions und Digitalisierungsvorreiterinnen* ausgezeichnet worden ist: mit einem Sonderpreis für unser Engagement für Inklusion. Auch an dieser Stelle wollen wir uns bei der Jury und der Kölner Stadt-Anzeiger Medien noch einmal für diese Anerkennung bedanken!
Aber zurück zum Bundesfinanzminister, denn Herr Lindner hat etwas sehr Richtiges gesagt: In Deutschland fehlt der Mut zu strukturellen Reformen. Damit meinte er sicherlich nicht sich selbst, aber vermutlich alle anderen. Er hat von Sozialleistungen gesprochen und vom notwendigen Abbau von Bürokratie und Subventionen.
Wovon er nicht sprach, ist die inklusive Reform unseres Schulsystems. Die hat er schon als Spitzenkandidat in NRW und anschließend als Parteichef der schwarz-gelben Landesregierung nach Kräften bekämpft – gegen internationales Recht, gegen liberale Grundsätze wie die Subsidiarität oder die Ermächtigung und Selbstverantwortung aller Bürgerinnen* (auch der mit Behinderung, nehme ich an), gegen die Erkenntnisse einer zukunftsweisenden Pädagogik… Warum nur? Vermutlich fehlt einfach der Mut zu strukturellen Reformen.
Medienschau Oktober
Klartext
///Immer noch drückt sich die Bundesregierung darum, Verantwortung für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im ganzen Land zu übernehmen, auch in den Schulen. Zumindest der Behindertenbeauftragte spricht Klartext und fordert, „dass die Bundesländer schleunigst Programme mit klaren Zeithorizonten auflegen müssen und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen sollten, um die rechtlichen Verpflichtungen aus der UN-BRK umzusetzen. Es geht nicht um reformpädagogische Konzepte, sondern um geltendes Bundesrecht. Die Verwaltung hat sich an Gesetz und Recht zu halten.“
News4Teachers
Inklusion: Bundesbeauftragter Dusel fordert Abbau der Förderschul-Strukturen (“Können wir uns nicht mehr leisten”) – im Interview
///Ein ganzes Jahr hat es gedauert, bis es dem Bundesarbeitsministerium gelungen ist, eine abgestimmte Übersetzung des Ergebnisses der Staatenprüfung zu verfertigen. Jetzt gibt es also keine Ausreden mehr für Bund, Länder und Kommunen, sich mit den Empfehlungen der UNO auseinanderzusetzen. Hier ist die gültige Übersetzung:
///Ungeachtet der Ergebnisse der Staatenprüfung will die hessische Landesregierung das Förderschulsystem sogar noch ausbauen. Der Elternbund Hessen weist auf die Rechtslage hin:
Frankfurter Rundschau
Elternbund fordert mehr Inklusion an Hessens Schulen
///Zu den Preisträgern des Deutschen Schulpreises 2024 gehören wieder einmal mehrere inklusive Schulen. Das ist in jedem Jahr so und zeigt eindrucksvoll, wie gut deutsche Schulen Inklusion können, wenn sie wollen und man sie lässt. So kann der Preis bisher als eine implizite Aufforderung an die Schulpolitik verstanden werden, endlich die Inklusion in den Schulen zum Standard zu machen. In diesem Jahr nun geht der Hauptpreis an eine Förderschule. Was soll uns das sagen?
Tagesspiegel
Deutscher Schulpreis geht doppelt nach Berlin: Höchste Auszeichnung für inklusive Bildungskonzepte
/// Nun regt sich heftiger Protest gegen die Verleihung des Preises an eine Förderschule. Protestiert wird nicht, weil Kollegien von Förderschulen keine Anerkennung verdienten, wenn sie ihre Schule im Sinne der Schüler*innen und ihrer Bildung gestalten. Aber dass die Wahl ausgerechnet auf eine Förderschule fällt (obwohl durchaus allgemeine Schule mit ähnlichen Konzepten glänzen), passt zu gut in den um sich greifenden Backlash bei der Politik für inklusive Bildung.
Berliner Bündnis
Inklusion als Kriterium? Schulpreis an Sonderschule! Logisch, oder?
///In manchen Städten finden Familien mit Kindern mit Behinderung inzwischen ein Angebot inklusiver Schulen vor, auch wenn das nicht heißt, dass jedes Kind dort einen geeigneten Schulplatz bekommt. Viel schlechter sieht die Situation vielerorts auf dem Land aus. Statt Inklusion erwartet sie dort oftmals nur Unverständnis:
Lehrer News
Große Aufgabe, kleiner Fortschritt: So steht es um Inklusion auf dem Land
///Die Verhunzung des Begriffs „Inklusion“ zu „irgendwas mit Behinderung“ geht ungebremst weiter. Aktuelle Beispiele stellen die Eltern aus Baden-Württemberg zusammen:
///Kann zu viel Betreuung auch schädlich sein? Oder soll nur gespart werden? In diesem Fall in NRW wollen Eltern für ihr Kind eine Schulbegleitung. Schule und Jugendamt wollen das nicht.
Kölnische Rundschau Online
Mutter kämpft um Schulbegleitung für ihr Kind – Kreis Euskirchen lehnt das ab
///Wenn das Land die Politik ändert und den Kommunen dadurch Kosten entstehen, dann muss das Land dafür zahlen. Das nennt man den Grundsatz der Konnexität. Aktuell gibt es dazu in Niedersachsen Streit. Das Land zahlt den Kommunen nämlich keine Zuschüsse für Inklusion in der Sekundarstufe 2. Begründung: In der Oberstufe habe es ja ein Förderschulangebot gar nicht gegeben. Von daher seien für Schülerinnen* mit Behinderung ja immer schon die allgemeinen Schulen zuständig gewesen – und damit die Kommunen… Man darf gespannt sein.
EU-Schwerbehinderung
Hannover klagt gegen Land Niedersachsen: Streit um Finanzierung inklusiver Schulen
///Wie schwer es auch den Kommunen fällt in Richtung inklusiver Bildung zu gehen, zeigt ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz. Das Land hat entschieden, dass Schülerinnen* im Förderschwerpunkt Lernen nicht mehr direkt an Förderschulen anmelden sollen. Tatsächlich dürfte man nach 15 Jahren Rechtsgültigkeit der UN-BRK davon ausgehen, dass die Inklusion von Schülerinnen* dieses Förderschwerpunkts in der Regel von den allgemeinen Schulen geleistet werden kann. Stattdessen fällt den Kommunalpolitikern nur Eines ein: Bedenken.
BYC-News
Kreis Mainz-Bingen informiert zur Förderschulreform
///In Nordrhein-Westfalen sind alle KiTas inklusiv. Theoretisch. In der Realität gehen Kinder mit Behinderung zum Teil gar nicht in die KiTa – weil die KiTa verlangt, dass eine Einzelfallhilfe mitgebracht wird, aber der Landschaftsverband als Eingliederungshilfeträger die Antragsverfahren verzögert und die Stunden reduziert. Die Gemengelage ist kompliziert, denn die Bedingungen in vielen KiTas sind ohnehin schlecht. Und eine schon lange geplante „Basisleistung 2“, mit der KiTas für die Inklusion von Kindern mit schweren Behinderungen ausgestattet werden sollen, ist noch immer nicht eingeführt. Das Nachsehen haben die Kinder.
Aachener Zeitung (Paywall)
„Eltern behinderter Kinder wehren sich gegen LVR-Kürzungen“
///Das Bundesteilhabegesetz ist inzwischen acht Jahre alt. Die volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen lässt weiter auf sich warten. „Woran liegt`s?“, fragt der WDR-Podcast Politikum den EUTB-Berater des mittendrin e.V., Andreas Huckschlag:
ARD-Audiothek - WDR5
Teilhabe für Menschen mit Behinderungen & Eine Zukunft für Gaza
///Inmitten lauter innovativer Unternehmen ist der mittendrin e.V. von der Kölner Stadt-Anzeiger Medien für unser Engagement für Inklusion mit einem Sonderpreis der Wirtschaftsnacht Rheinland ausgezeichnet worden. Wir freuen uns sehr! Wenn es schon keine politische Partei mehr gibt, die mit Überzeugung für inklusive Bildung streitet, dann – wer weiß – finden wir vielleicht Mitstreiterinnen* in der Wirtschaft?
Kölner Stadt-Anzeiger
Wirtschaftsnacht Rheinland 2024 Das sind die Gewinner der WiNa-Awards
///Die schöne neue Welt der Pränataldiagnostik kann individuell zum Grauen werden. Von den Bluttests auf Trisomien, die inzwischen von den Krankenkassen bezahlt werden, erhoffen werdende Eltern sich eine Sicherheit, die sie nicht bekommen können. Der Deutschlandfunk hat sich umgehört, was in der Praxis passiert:
Deutschlandfunk
Pränataldiagnostik: Medizinischer Fortschritt und ethische Fragen
///Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe im Bundestag verlangt ein Monitoring, wie der von den Krankenkassen gezahlte vorgeburtliche Bluttest auf Trisomien angewendet wird. Erste Zahlen hatten ergeben, dass er inzwischen von einem Drittel der Schwangeren genutzt wird. In einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags schildert Tina Sander von mittendrin e.V., was die Kassenfinanzierung des Tests darüber hinaus bei Menschen mit Trisomie 21 und ihren Familien anrichtet: