2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Das Lesen von Bundestagswahlprogrammen ist für Aktivistinnen* der inklusiven Bildung eher Kür als Pflicht, weil Schulpolitik ja bekanntlich Ländersache ist. Umso erstaunter sind wir, dass die Textsuche dieses Mal Treffer ergibt.
Die CDU gibt bekannt, dass sie „neben Inklusionsangeboten auch Förderschulen als Bestandteil der Bildungswelt“ sieht. Während die SPD sich still hält, kündigen die Grünen an, dass sie an den Schulen „mehr Stellen... für Inklusion“ schaffen werden, wenn man sie lässt. Die FDP findet in ihrem Programm sogar Platz für zwei ausführliche Sätze zur Beschulung von Kindern mit Behinderung, mit der Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem „von der Kita bis zur Berufsausbildung“, aber auch „unverzichtbaren Förderschulen“. Die Linke würde als Regierungspartei stehen für „inklusives Lernen in allen Bildungseinrichtungen. Die Förderschulen müssen umstrukturiert und sonderpädagogisches Personal an Regelschulen flächendeckend“ eingesetzt werden. Und die AfD, nun ja...findet bekanntermaßen nicht nur Zuwanderer störend, sondern auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung in den allgemeinen Schulen.
Jetzt könnte die Eule die Augen rollen über den offenbar unstillbaren Drang so mancher Partei, sich ritual-artig und unaufgefordert zur Schulform Förderschule zu bekennen, auch wenn das gerade gar nicht die Frage war.
Aber interessant ist etwas anderes: Als Eltern in den vergangenen zwei Jahren mit Protestcamps, Aktionen, Offenen Briefen und vielen Gesprächen versucht haben, Bundesregierung und Parlament daran zu erinnern, dass sie als Vertragspartner der UNO verpflichtet sind, die Länder zum Aufbau der inklusiven Bildung zu bringen, war die gebetsmühlenartige Antwort: Da können wir nichts machen, weil Schulen Sache der Länder sind. Aber warum ist die inklusive Bildung dann jetzt Thema in den Bundestags-Wahlprogrammen – und damit den Plänen der Parteien für eine mögliche Bundesregierung? Für die politischen Möglichkeiten des Bundes bei der inklusiven Bildung kann das nur heißen: Da geht noch was!
Medienschau Januar
Bundestagswahl 1
///Am 23. Februar wählen wir einen neuen Bundestag. Welches politische Angebot machen also die Parteien für eine inklusive Gesellschaft? Die Eltern von der LAG Gemeinsam leben – gemeinsam lernen in Baden-Württemberg haben die aktuellen Wahlprogramme gecheckt, mit interessanten Ergebnissen. Komischerweise stürzen sich die Parteien der Mitte in ihrem Bemühen, irgendwie freundlich bei der Inklusion zu wirken, sämtlich ausgerechnet auf den Bereich des Sports. Zur inklusiven Bildung nur wolkige bis bemüht wohlformulierte Sätze. Glaubhafte Bekenntnisse zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sehen anders aus:
LAG – Landesarbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg ®
///Die Bildungsgewerkschaft GEW hat bildungspolitische Forderungen zur Bundestagswahl formuliert. Aussagen zur inklusiven Bildung sucht man darin leider vergeblich. Sollen wir davon ausgehen, dass die Forderung nach Aufbau eines inklusiven Schulsystems beim Stichwort „Chancengleichheit“ kclandestin mit gemeint ist? Oder sind den Gewerkschafterinnen* beim Schreiben die Buchstaben ausgegangen, ausgerechnet beim Thema Inklusion? Leider gilt – gerade heute: Wer Inklusion will, muss das sehr deutlich sagen, wenn er/sie* verstanden werden will.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
GEW-Forderungen zur Bundestagswahl 2025 - Eine andere Bildungspolitik braucht das Land
///Deutlicher als der Bundesverband formuliert die GEW in Hamburg: Sie fordert allerdings nicht mehr Anstrengungen für inklusive Bildung, sondern eine Stärkung der Sonderschulen. Der Elternverein Pro Inklusion Hamburg e.V. ordnet ein:
EU-Schwerbehinderung
GEW Hamburg ignoriert das Menschenrecht auf inklusive Bildung
///Kinder mit Förderbedarf Lernen werden im Land nicht mehr direkt bei Einschulung in die Förderschule eingeschult. Aus den allgemeinen Schulen kommt nun die Klage, dass die Beschulung dieser Kinder ohne Unterstützung der Lehrkräfte aus den Förderschulen nicht leistbar sei. Hat man hier vergessen, zusammen mit den Kindern auch die für sie vorgesehenen Lehrkräfte umzuverteilen?
SWR Aktuell
Reform zur Einschulung in RLP - Viele Lehrkräfte sehen Nachteile für Kinder mit Förderbedarf
///Die Bildungsbenachteiligung der ehemaligen Kohle- und Stahlregion Ruhrgebiet hat Tradition. Früher hat man dort – bewusst – keine Universitäten gebaut. Heute hat das Ruhrgebiet die meisten Schülerinnen* mit Benachteiligungen, die größten Schulklassen und – wen wundert`s – die höchsten Anteile an Schülerinnen*, die die Bildungsstandards nicht erfüllen. Bezeichnend, dass auch die Quote der Schülerinnen* mit sonderpädagogischem Förderbedarf besonders hoch ist, mit inzwischen 9,4 Prozent. Die Zahlen deuten darauf hin, dass hier Armut in Behinderung übersetzt wird. Für die künftige Entwicklung der Region ist das ein Teufelskreis.
EU-Schwerbehinderung
Bildungsbericht Ruhr - Mehr Kinder an Förderschulen als vor der UN-BRK
///In der Hauptstadt gibt es Stadtbezirke, die keine einzige „Schwerpunktschule“ für Inklusion haben. Doch anstatt ein gutes inklusives Schulangebot aufzubauen, wollen die Bezirke zusätzliche Förderschulen bauen.
taz
Teilhabe in Schulen - Bezirke vertrödeln echte Inklusion
///Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat zu den geplanten Förderschulbauten in Berlin Stellung genommen. Der Schluss: Mit der geltenden Rechtslage auch in Bezug auf die Gültigkeit der UN-Behindertenrechtskonvention im Range eines Bundesgesetzes sind weitere Investitionen in Förderschulen nicht vereinbar.
Deutsches Institut für Menschenrechte
Berliner Senat und Bezirke dürfen nicht weiter in Sondersysteme investieren
///Die neue Landesregierung aus SPD und BSW hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Die Behindertenbeauftragte des Landes fordert die Regierung nun auf, dies umzusetzen. Sie wünsche sich, dass Kinder mit Behinderung nicht in Förderschulen unterrichtet würden, und spricht sich für inklusive Schulen aus, um die Teilhabe auch im Erwachsenenleben zu ermöglichen.
Tagesspiegel
Menschen mit Behinderung: Beauftragte: Inklusion in Schule und Arbeitsmarkt mangelhaft
///Die bayerische Landesregierung findet sich und ihr Bundesland grundsätzlich spitze. Dies gilt auch für ihre Schulen, wobei man bei näherer Betrachtung nicht immer erkennen kann, worauf man stolz sein sollte. Spitzendurchschnitte in Abiturprüfungen sind ja nicht mehr so beeindruckend, wenn man weiß, dass auf der anderen Seite besonders viele Schülerinnen* sehr früh vom Weg zum Abitur ausgeschlossen worden sind. Und die breite Brust bei der Inklusion funktioniert auch nur unter Verwendung „exklusiver Sonderwahrheiten“:
///Am 15. Februar veranstaltet das Bündnis Gemeinschaftsschule eine hochkarätig besetzte Fachtagung zu eben dieser – in Bayern nahezu unbekannten - Schulform:
EINE SCHULE FÜR ALLE in Bayern e.V.
Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern – Fachtagung: Gemeinsam in Vielfalt lernen
///Welchen wirklichen Nutzen haben eigentlich sonderpädagogische Feststellungsdiagnosen? Schon vor sechs Jahren stellte eine in Hamburg in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie diese Frage, insbesondere für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und Emotional-soziale Entwicklung.
Bildungsklick
Inklusion muss sich von der Sonderpädagogik emanzipieren!
///Dieses Essay analysiert unser Schulsystem aus Sicht eines Schülers mit Behinderung, doch viele Schülerinnen* ohne Behinderung dürften ähnlich empfinden: „Die Grundaussage unseres Schulsystems lautet: Die Welt ist dir verschlossen, und du musst sie dir erst durch Abschlussprüfungen eröffnen.“ Zu Ende gedacht, ist es eine Überlegung wert, ob eine Demokratie in ihrem Bildungssystem nicht besser auf Ermutigung setzen sollte als auf Sortieren und Aussortieren.
taz
Essay über fehlende Humanität in Schulen - Reißt den Zaun ein!
///„Als ob behinderte Kinder plötzlich wie Erdmonster aus ihren Löchern auftauchen würden und jetzt die Weltherrschaft an sich reißen wollen“: Raúl Krauthausen über inklusive Bildung und gesellschaftliche Erzählungen, die darüber kursieren:
NEWS4TEACHERS
“Es sind ja nicht die behinderten Kinder schuld, dass Lehrer*innen immer mehr machen müssen”: Raúl Krauthausen über Inklusion
///Opfer von sexuellem Missbrauch bräuchten – neben der Bestrafung der Täterinnen* - Annahme und Unterstützung durch die Gesellschaft und psychologische Rehabilitationsangebote. Zwei Mädchen aus Hessen wurden stattdessen gegen ihren Willen in eine Förderschule für sozial-emotionalen Förderbedarf zugewiesen. Nur durch Unterstützung des Elternbund Hessen konnten sie diese wieder verlassen. Ein Einzelfall?
SPORT-NACHGEDACHT
Sexueller Missbrauch – ein unerschrockenes Geschäft
///Mit einer Reform des Sozialgesetzbuches wollte die Bundesregierung dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung nicht mehr in die Zuständigkeit der Sozialämter fallen, sondern gemeinsam mit allen anderen Kindern und Jugendlichen in die Zuständigkeit der Jugendämter. Jetzt ist klar: Die Reform ist vorerst dem vorzeitigen Ende der Regierung zum Opfer gefallen.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
„Reformprozess in der Kinder- und Jugendhilfe gescheitert – Fachkräfte stehen stark unter Druck“
///Das Land steht vor dem Antritt einer rechtsextrem geführten Regierung, die wenig von der inklusiven Bildung hält. Die Präsidentin der Caritas nimmt den Weltbildungstag zum Anlass, an die künftige Regierung zu appellieren:
///Die Stadt Graz, Landeshauptstadt der Steiermark, möchte an ihren Schulen weiterhin die inklusive Bildung ausbauen. Angesichts der Pläne der künftigen Bundesregierung hat der Grazer Gemeinderat nun eine Petition an die Landesregierung verabschiedet. Graz fordert, die Förderung des inklusiven Unterrichts zum Regierungsschwerpunkt zu machen und diesen auch finanziell sowie personell entsprechend zu unterstützen.