2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Wie ernst ist es den Regierenden mit der postulierten Abgrenzung gegen extreme rechte Kräfte und Ideen? Im Wahlkampf war schon zu besichtigen, wie gefährlich glatt die Rutschbahn in menschenfeindliche Gedankenwelten ist. Dass die Parteien über Sicherheit im Land und über Regeln für Zuwanderung diskutieren, ist dabei nicht das Problem, sondern bittere Notwendigkeit. Wenn aber Gruppen von Menschen im Zuge der Debatte diffamiert und in Angst versetzt werden, wenn Feindbilder bedient und verstärkt werden, gerät die demokratische Gesellschaft in Gefahr. Wir müssen uns entscheiden, ob wir ein gesellschaftliches Klima pflegen wollen, in dem alle in diesem Land gut miteinander leben und die Gemeinschaft voranbringen können, oder ob wir eine Kultur der Ausgrenzung pflegen. Der UNO-Berichterstatter Markus Schefer erinnert in der taz an die geschichtliche Erfahrung, dass immer auch die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung leidet, wenn Gesellschaften Migration als Problem wahrnehmen. Rassismus und Behindertenfeindlichkeit gehen Hand in Hand, weil beides in der Ablehnung von Menschen gründet, die man als „anders“ empfinden kann. Sogar soziale Staaten wie Dänemark und Schweden sind gefährdet. Seit in diesen Ländern die Migration zum hoch emotionalisierten Thema der Politik geworden ist, ist auch dort eine neue Tendenz entstanden, Menschen mit Behinderung wieder in Parallelwelten abzuschieben.
Das Ganze funktioniert übrigens auch umgekehrt. Eine Gesellschaft, die Parallelwelten für Menschen mit Behinderung abbaut und daran arbeitet, alle Menschen einzubeziehen, steigert die Verbindlichkeit ihrer demokratischen Regeln – für neu Dazugekommene ebenso wie für politisch Irrlichternde. Wenn unserem vermutlich nächsten Bundeskanzler die Abgrenzung gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit wichtig ist, liegt hier eine Chance.
Medienschau März
Bundesregierung
///Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat Eckpunkte veröffentlicht für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch den neuen Bundestag und die neue Bundesregierung. Das Institut weist darauf hin, dass eine Transformation hin zu einem inklusiven Schulsystem bisher nicht stattfindet. Deshalb müsse die neue Bundesregierung eine gemeinsame gesamtstaatliche Bildungsstrategie von Bund und Ländern zur Verwirklichung der schulischen Inklusion für Kinder mit Behinderungen entwickeln:
Deutsches Institut für Menschenrechte
Menschenrechtsinstitut fordert von der nächsten Bundesregierung eine aktive Politik für Menschen mit Behinderungen
///Die Bundesvorsitzende des Verbands Sonderpädagogik kritisiert die aktuelle Entwicklung zu gesellschaftlichen Abschottungsprozessen, die sich auch in der hinhaltenden Politik vieler Bundesländer zur schulischen Inklusion spiegele:
News4Teachers
„Das klare Ziel muss sein, Inklusion als Menschenrecht umzusetzen“: Angela Ehlers, Chefin des Verbands Sonderpädagogik, im Gespräch
///Wochenlang stand in Österreich eine Bundesregierung unter rechtsextremer Führung im Raum. Für die weitere Entwicklung der inklusiven Bildung ließ dies nicht Gutes ahnen. Zwar haben die demokratischen Parteien nun doch noch zu einer Koalition gefunden. Dennoch sollte man sich die Folgen rechtsextremer Regierungsbeteiligung weiter vor Augen halten. Im Bundesland Steiermark, in dem die ÖVP mit der FPÖ regiert, haben die Beteiligten in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass Kinder mit Behinderung „entweder eine Sonderschule oder Sonderschulklassen“ besuchen. Sie taten dies, obwohl der Passus gegen das österreichische Schulpflichtgesetz verstößt. (Paywall)
Tagesspiegel
Was heißt Rechtsruck für Kinder mit Behinderung?: Wie Inklusion in Österreich verhindert wird
///Andere Bundesländer diskutieren, Brennpunktschulen künftig von vornherein mehr Lehrerinnen* zuzuweisen, weil dort erfahrungsgemäß mehr Schülerinnen* zusätzliche Förderung brauchen. Berlin geht den umgekehrten Weg. Vom kommenden Schuljahr an sollen alle Schulen die gleiche Lehrerinnen*ausstattung bekommen. Mehr Ressourcen soll es nur im Einzelfall geben, mit entsprechender Begründung. Die Entscheidung der Schulsenatorin führt nun zum Krach mit dem eigenen Fachbeirat Inklusion: (Paywall)
Tagesspiegel
Zusatzunterricht für Förderkinder streng gedeckelt: Inklusionsbeirat greift Berlins Bildungssenatorin an
///Die Hannoveraner Grundschule Mühlenweg ist mit dem Zukunftspreis des Cornelsen-Verlages ausgezeichnet worden, unter anderem, weil am Mühlenweg nicht nur Kinder mit Behinderung an ihrer Bildung arbeiten, sondern Inklusion auch für die Erwachsenen in der Schule gilt: (Paywall)
Tagesspiegel
Zukunftspreis für kreative Unterrichtsformen: Das machen diese vier Schulen besser
///Der CDU-Fraktionschef im Landtag, Sebastian Lechner, fort eine „ehrliche Bestandsaufnahme“, was bei der inklusiven Bildung nicht funktioniere. Nun sind ehrliche Bestandsaufnahmen immer eine gute Idee. Es sei denn, man sucht darin nur eine Begründung, Dinge einzureißen, anstatt sie besser zu machen: (Paywall)
Braunschweiger Zeitung
Inklusion an Schulen in Niedersachsen: „Es gibt von allem zu wenig“
///Der Schulausschuss des Landtags hat sich in einer Anhörung mit der inklusiven Bildung beschäftigt. Die Abgeordneten hörten Förderschulleiterinnen* zu, die dafür plädierten, künftig für alle Schülerinnen* mit Behinderung wieder den sofortigen Einstieg in die Förderschule zu ermöglichen, gleich bei der Einschulung. Leiterinnen* von inklusiven Schulen waren nicht zur Anhörung geladen. Das Land gehört zu den Schlusslichtern bei der Inklusion. Warum nur?
Volksstimme
Gemeinsamer Unterricht für alle? – Baustelle Inklusion
///Der Kreis Düren will die Unterstützung von Schülerinnen* mit Behinderung vermehrt durch Klassenassistenzen sicherstellen anstatt wie bisher mit Einzel-Integrationshelferinnen*. Einige Eltern befürchten, dass damit auch Integrationshilfen für diejenigen Schülerinnen* eingespart werden sollen, die tatsächlich eine 1:1-Betreuung brauchen. (Paywall)
Aachener Zeitung
Eltern sorgen sich wegen Wegfall der Integrationshelfer
///Die Fraktion „Linke und GAL“ in der Lübecker Bürgerschaft freut sich, dass die Stadt in der Schulentwicklungsplanung Weichen in Richtung Inklusion gestellt habe. Statt Förderschulen auszubauen, sei nun geplant, dass die Förderzentren ihren eigenen Schulbetrieb zugunsten der inklusiven Beschulung abbauen und die inklusiven Schulen gestärkt würden:
HL-Live.de
Linke und GAL: Inklusion an Schulen weiter verbessert
///Seit Jahren gibt es überall im Land regional Bestrebungen, Schülerinnen* mit Behinderung von Klassenassistenzen unterstützen zu lassen anstatt durch Einzelfallhelferinnen*. Jetzt zieht auch Sachsen nach. Die Oberschule Wurzen soll als erste Schule das sogenannte „Pooling“ testen: (Paywall)
Leipziger Volkszeitung
Betreuung von Kindern mit Einschränkungen: Wurzener Oberschule will neue Wege gehen
///In vielen Bundesländern genießen die Förderschulen immer noch Vorrang, wenn es um die Ausstattung mit sonderpädagogischen Lehrkräften geht. Schulen des Gemeinsamen Lernens werden vernachlässigt. Ein Stuttgarter Rektor sagt, so werde die Inklusion kaputt gemacht: (Paywall)
Stuttgarter Zeitung
Kaum Sonderpädagogen an Regelschulen - Lehrkräfte in der Inklusion fühlen sich alleingelassen
///Der Kinderarzt Volker Mall sieht die Möglichkeit von Eltern in Gefahr, für ihr Kind eine inklusive Beschulung zu wählen. Aus seiner Sicht böte ein inklusives Schulsystem bessere Möglichkeiten für alle Kinder und die Gesellschaft: „Wo Inklusion als Ideologie-Projekt bezeichnet wird, befürwortet man die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung“. (Paywall)
Süddeutsche Zeitung
„Inklusion ist auch für Kinder ohne Beeinträchtigung gut“
///Wie gelingt Inklusion in und nach der Schule? Am Donnerstag, den 6. März, findet die digitale Abschlusskonferenz des Projekts „INSIDE – Inklusion in und nach der Sekundarstufe I in Deutschland“ statt. Dafür wurden seit 2016 Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf über mehrere Jahre durch die Schule und danach begleitet sowie Eltern, Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulbegleitungen befragt. Dafür haben Forschende des Leibniz Instituts für Bildungsverläufe, der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Potsdam und der Bergischen Universität Wuppertal zusammengearbeitet. Hier finden Sie den Anmelde-Link:
Wuppertal-Total
Abschlusskonferenz des BUW Projekts: „Wie gelingt Inklusion in und nach der Schule?“
///Das Portal Reha-Recht veranstaltet bis zum 17. März eine Online-Diskussion zum Übergang behinderter Schülerinnen* von der Schule in den Beruf. Hier kann man mitdiskutieren:
Reha-Recht
Berufseinstieg für Menschen mit Neurodivergenz oder kognitiven Beeinträchtigungen
///Der Arbeitsmarkt leergefegt, aber die Zahl von Arbeitslosen mit Behinderung steigt. Ein Brandbrief nordrhein-westfälischer Verbände fordert von der Landesregierung wirksame Maßnahmen:
Sozialverband Deutschland
„Arbeitslosigkeit behinderter Menschen wirksam abbauen!“- Es ist längst höchste Zeit zu handeln
///Die Humboldt-Universität hat gemeinsam mit der Uni Halle eine erste qualitative Untersuchung zum Budget für Ausbildung abgeschlossen. Erkenntnisse hier:
Reha-Recht
„[…] weil man auch die Erfahrung machen kann, wie es ist, eine Ausbildung zu machen.“ – Ergebnisse einer qualitativen Studie zur Umsetzung des Budgets für Ausbildung
///Das Budget für Ausbildung steht Menschen mit Werkstattberechtigung nicht nur im Übergang Schule/Beruf zur Verfügung, sondern auch in späteren Jahren. Dann leistet nicht mehr die Arbeitsagentur, sondern die Eingliederungshilfe. Wie die Träger der Eingliederungshilfe die Bewilligung effizient abwickeln können, zeigt die Landesregierung Rheinland-Pfalz mit einer Handlungsanweisung:
///Wie wenig wir mit der inklusiven Bildung bisher vorangekommen sind, zeigt sich auch daran, dass das Gelingen allzu oft von einzelnen Personen abhängt. In Köln gehörte zu diesen Personen, solange man denken kann, Walter Heilmann. Jahrzehntelang hat er als Leiter der Rosenmaar-Grundschule gezeigt, wie gut Inklusion die Bildung macht. Auf Heilmanns Schule wurden die Kinder gemeinsam unterrichtet, die da sind, egal welche Besonderheiten sie mitbringen. Niemals hat er die Inklusion als Belastung gesehen, und das strahlte die ganze Schule auch aus. Walter Heilmann bleibt in Erinnerung als rundum positiver Mensch und als cooler Typ im besten Sinne des Wortes: voller Ideen und gleichzeitig von unerschütterlicher Gelassenheit. Wir haben ihm unendlich viel zu verdanken.