2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Die nordrhein-westfälische Schulministerin Dorothee Feller wird gern mit der Aussage zitiert, dass sie sich über jede neue Förderschule freue. Das passt zur schwarz-grünen Landespolitik, die sich bei der Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung vor allem mit dem „Erhalt“ der Förderschulen positioniert. Angesichts von mindestens 30 zusätzlichen Förderschulen, die in den Kommunen des Landes in Planung sind, dürfte die Freude nicht lange bleiben. Hier geht es nicht um den Erhalt der Förderschulen, sondern um einen massiven Ausbau.
Sobald diese Schulen in Betrieb gehen, muss die Ministerin dem Finanzminister erklären, warum es rund 900 zusätzliche Personalstellen für Förderschullehrerinnen* im Landeshaushalt braucht, obwohl die Schülerinnen*zahlen insgesamt sinken. Erklärungsbedürftig ist auch, warum in Nordrhein-Westfalens Schulsystem immer mehr Kinder als geistig behindert eingestuft werden. Allein 18 der geplanten Förderschulen sind für Schülerinnen* des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung gedacht. Werden sie alle gebaut, wird das Land NRW so viele Geistigbehindertenschulen haben wie noch nie zuvor in seiner Geschichte.
Besonders viele der neuen Förderschulen Geistige Entwicklung wollen übrigens ausgerechnet die Kommunen im strukturschwachen Ruhrgebiet bauen. Ja, das sind Kommunen mit besonders hohen Anteilen von Kindern, die unter Armutsbedingungen aufwachsen, und Kindern aus zugewanderten Familien. Es braucht keine wissenschaftlichen Untersuchungen, um zu erkennen, dass hier etwas gewaltig schiefläuft im nordrhein-westfälischen Schulsystem.
Medienschau August
Wichtige Umfrage
///Erstmals werden bundesweit die Eltern von behinderten Kindern befragt, wie es für sie in der Schule läuft. Mitmachen!
Institut für Menschenrechte
Eltern-Befragung zur schulischen Bildung von Kindern mit Behinderungen
///Wer hätte das gedacht? Zugewanderte Kinder lernen schneller deutsch, wenn sie direkt auf die Schulklassen verteilt werden, statt getrennt in sogenannten Willkommensklassen zu starten. Gemeinsames Lernen funktioniert also besser als getrenntes Lernen. Bei zugewanderten Kindern ebenso wie bei Kindern mit Behinderung.
///Die Zeitung „Das Parlament“ beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Eine spannende Lektüre auch für alle, die Befürworterinnen* der inklusiven Bildung für eine abseitig denkende Minderheit halten. Kostenlos erhältlich über die Bundeszentrale für politische Bildung:
Bundeszentrale für politische Bildung
Inklusion: Aus Politik und Zeitgeschichte 32-35/2025
///Was Inklusionsbashing betrifft, ist in den Medien sicherlich bereits alles gesagt, allerdings noch nicht von Jeder*. Die WELT räumt Christine Brinck dafür Platz ein, die – längst im Ruhestand – zuletzt 2007 unter dem martialischen Titel „Mütterkriege“ aus der Perspektive hoher Hamburger Bürgerlichkeit (die mit den Nannys und Tagesmüttern) ein äußerst engagiertes Buch gegen die Frühbetreuung von Kindern geschrieben hat. Jetzt also Inklusion. Hier liefert sie eine Zusammenfassung gängiger Inklusions-Skepsis. Inklusive Bildung sei eine schöne Idee, aber: Personalmangel, zu heterogene Lerngruppen, Störung des Gleichschritt-Lernens u.v.m.. Ihre Idee: Baut doch die Förderschulen einfach neben die allgemeinen Schulen. Dann muss aber auch gut sein mit der Inklusion.
WELT
Bildungspolitik: Die Illusion von der Inklusion an Schulen (Paywall)
///Die Humboldt-Uni Berlin und die Uni Magdeburg haben im Rheinland den Weg Jugendlicher mit Behinderung in und durch Ausbildung untersucht. Sie fanden heraus: Insgesamt hat die Selbstbestimmung der jungen Leute im Übergang Schule/Beruf einen äußerst geringen Stellenwert. Es wurden Fälle und Hinweise gefunden, dass das unterstützende Personal in Schulen und Integrationsfachdiensten über die Köpfe der Jugendlichen hinweg den Weg in die Werkstatt für Menschen mit Behinderung bahne. In nur wenigen Fällen werde ein von den Betroffenen geplanter Übergang in Ausbildung realisiert. Von denjenigen, die zunächst aus der Schule in berufsvorbereitende Maßnahmen wechselten, verblieb der größere Teil auch nach mehr als einem Jahr in Maßnahmen, anstatt den vorgesehenen Übergang in Arbeit oder Ausbildung zu finden.
Landschaftsverband Rheinland (LVR)
Inklusive berufliche (Aus-)Bildung von Jugendlichen mit Schwerbehinderung im Rheinland – Zugänge, Gestaltung und Verbleib (InbeBi)
///An Rhein und Ruhr wird nicht mehr die inklusive Bildung ausgebaut, sondern das Förderschulsystem. Wie der Elternverein mittendrin e.V. recherchiert hat, planen Kommunen im ganzen Land mindestens 30 neue zusätzliche Förderschulen, davon allein 18 für Schülerinnen* des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung. Damit würde Nordrhein-Westfalen demnächst so viele Förderschulen GG haben wie noch niemals zuvor, und das bei sinkenden Schülerinnen*zahlen.
///Der Spiegel benennt, was geschieht: Die Ausweitung des Förderschulsystems ist ein deutlicher Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention. Das Schulministerium der schwarz-grünen Landesregierung weiß von nichts, und will es auch nicht wissen.
DER SPIEGEL
Kommunen in NRW planen Dutzende neue Förderschulen
///In NRW steht die Kommunalwahl an. Der Kölner Elternverein mittendrin e.V. hat den Wahlkämpferinnen* Wahlprüfsteine vorgelegt. Das Ergebnis wird jetzt im Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlicht:
///Eine Schule in Südhessen hat sich entschieden, weniger auf Einzelfallhelferinnen* für Schülerinnen* mit Behinderung zu setzen und stattdessen die Schule personell zu verstärken, mittels eines sogenannten „Poolmodells“. Die Schulleitung sieht enorme Vorteile:
op-online
Poolmodell der Schule im Kirchgarten sei „Quantensprung für Teilhabe“
///Früher wurden Sonderschulen häufig am Stadtrand gebaut, oder gleich ganz im Wald. Früher? In Hessen ist für den Neubau einer Förderschule Geistige Entwicklung jetzt ein Platz im Gewerbegebiet vorgesehen, mit Autobahnlärm, an einer vielbefahrenen Straße. Ach ja, und Altlasten im Boden sind auch noch nicht geräumt. Einer Grundschule wollte die gleiche Gemeinde dieses Grundstück nicht einmal als Übergangsstandort zumuten. Am 11. September soll die Entscheidung getroffen werden.
ZUKUNFT SCHIERSTEIN
Stadt plant Schiersteiner Brücke als Schulstandort
///Eine „passgenaue“ Förderung verspricht das Förderschulwesen mit seinen (in NRW) sieben Schulformen für jede Art der Behinderung. Dieser Fall zeigt, dass es niemals möglich sein wird, so viele Förderschulformen zu schaffen, dass für jede* Schülerin* wirklich Passgenauigkeit erreicht wird:
RHEINISCHE POST
Betroffene kritisieren gescheiterte Inklusion in NRW
/// Eine Schülerin mit körperlicher Behinderung möchte von einer Förderschule auf eine Oberschule wechseln, um einen Realschulabschluss zu erreichen. Wo ist das Problem? Lesen Sie selbst:
noz - Neue Osnabrücker Zeitung
Inklusion und ihre Hürden: Wie Familie Meyer zu Drehle für Annelies Bildung kämpft
///Was sagt es aus über die Situation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wenn jeder*, der* nach dem Förderschulbesuch ein Abitur schafft, in den Medien gefeiert wird? Scheint selten zu sein.
Bild
Luan musste auf die Förderschule, jetzt hat er Abitur
///Ob inklusive Bildung in Deutschland gelingt, hängt im Einzelfall immer noch von einzelnen Personen ab: besonders engagierten Lehrkräften, positiv-kreativen Amtsmenschen oder – wie hier – Aktiven in Elternvereinen, zum Beispiel von EFI in Karlsruhe.
BADISCHE NEUSTE NACHRICHTEN
Autist soll Karlsruher Schule verlassen: So geht es weiter mit Moritz A. (Paywall)
///Die Landesregierung schafft neue Stellen für Sonderpädagoginnen* - und ordnet sie überwiegend den Sonderschulen zu. Sie tut dies, obwohl das Land schon bisher bei der inklusiven Bildung besonders schlecht abschneidet. Professorin Merz-Atalik erklärt im Interview, wie es besser ginge:
SWR
Deshalb hakt es bei der Inklusion in Baden-Württemberg
///Auf der diesjährigen didacta in Stuttgart trat der Bund der Freien Waldorfschulen demonstrativ aus dem didacta-Verband aus, um gegen die Zulassung eines Stands der rechtsextremen Partei AfD zu protestieren. Begründung insbesondere: die inklusionsfeindliche Haltung der Partei. Dumm ist nur, wenn zeitgleich Waldorfschulen mit der Ausgrenzung behinderter Schülerinnen* auffallen:
DIE RHEINPFALZ
Freie Waldorfschulen und die Inklusion: Ein Streitfall (zum Teil hinter Paywall)
///Auch an Hamburger Schulen ist gehörlosen Menschen lange Zeit Unrecht geschehen, unter anderem durch das langjährige Verbot der Deutschen Gebärdensprache. Der Sozialausschuss der Bürgerschaft hat nun beschlossen, diese Vergangenheit wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen.
EU-Schwerbehinderung
Hamburgs Schulen: Unrecht an Gehörlosen wird aufgearbeitet
///Wenn öffentliche Haushalte sparen, fehlt den Organisationen der Menschen mit Behinderung oft die Lobby, um Einschnitte abzuwehren. Jetzt sieht es so aus, als ob an mehreren Standorten die lang erkämpften Einrichtungen der Disability Studies in Gefahr sind, abgeschafft zu werden. Eine Petition wurde aufgelegt, um dagegen Unterstützung zu mobilisieren:
Arbeitsgemeinschaft Disability Studies (AGDS)
Disability Studies bedroht: Kritisch-emanzipatorische Wissenschaft schützen und stärken!