2009 hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Trotzdem ist Inklusive Bildung noch lange keine Realität in Deutschland. Hier berichten wir anhand einer Auswahl kommentierter Medienbeiträge jeden Monat, was in Deutschland zum Thema inklusive Bildung passiert.
/// Und es ist ihnen doch unangenehm!Zahlreiche Landesregierungen, Kommunen und Wohlfahrtsorganisationen arbeiten von Beginn an nicht konsequent für die inklusive Bildung, sondern eher dagegen. Sie wissen das. Deshalb haben sie Taktiken entwickelt, mit denen sie ihr Image polieren möchten.
Taktik Nr. 1: die Dinge einfach umdeuten. Da werden Förderschulen einfach zu „inklusiven Lernorten“ erklärt und Träger von riesengroßen Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe, in denen Menschen von der KiTa bis zum eigenen Friedhof exkludiert werden, behaupten ihrer Arbeit stehe der inklusive Gedanke voran. Dies passiert in der Hoffnung, dass der Schwindel nicht bemerkt wird.
Taktik Nr. 2: sprachliche Verrenkungen. Das beginnt – wie in einigen Bundesländern geschehen - schon mit der Umbenennung der Sonderschulen und Förderschulen in sogenannte Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren. Das klingt nicht so doll nach getrennter Schule, sondern eher nach einem Ort, an dem man gelegentlich Beratung sucht.
Die abenteuerlichste Verrenkung hat jetzt der Berliner Schulsenat geschafft. In einem Insta-Post ausgerechnet unter dem Titel „Maßnahmen auf dem Weg zu inklusiver Bildung“ kommt der Senat nicht umhin zuzugeben, dass er gerade dabei ist, noch mehr Förderschulen zu bauen. Damit das nicht so auffällt, nennt er seine Förderschulen jetzt nicht mehr Förderschulen, sondern „Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf“. Ja, Sie haben richtig gelesen. Und nein, wir wissen nicht, ob es noch viel absurder werden kann.
Medienschau November
Komik
///Ausgerechnet von der Sitzung des Berliner Behindertenparlaments postet der Schulbaustaatssekretär ein Statement, in dem er dem Aufbau eines inklusiven Schulsystems eine Absage erteilt. Damit das nicht so auffällt, nennt er die Förderschulen nun „Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf“.
Instagram @senbildjugfam
BILDUNG FÜR ALLE Maßnahmen auf dem Weg zur inklusiven Bildung
///Bethel hat seine alljährliche Spendenkampagne gestartet. Der Bielefelder Großanbieter der Behindertenhilfe plakatiert jetzt Portraits von Schülern seiner Förderschule und von Menschen aus seinen Werkstätten und Wohnanlagen. Die Kampagne bringe „den inklusiven Gedanken, der der diakonischen Arbeit Bethels voransteht, auf den Punkt“, sagt Bethel. Wir finden: so viel Inklusions-Washing ist doch eine klare Empfehlung, lieber anderen Organisationen zu spenden.
Bethel
Bethel startet deutschlandweite Plakataktion „Siehst du mich?“
///Die Kölner Gesamtschule Holweide gehörte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den ersten weiterführenden Schulen, die Schülerinnen* mit Behinderung aufgenommen haben. Das ist jetzt sage und schreibe 40 Jahre her! Die ganz normale mega-große Großstadt-Gesamtschule im längst schwer heruntergekommenen 70er-Jahre-Bau hat seitdem Schülerinnen* aller Förderschwerpunkte integriert: u.a. Blinde und Gehörlose, körperlich und kognitiv behinderte und ja, auch Schülerinnen* mit schwerer und mehrfacher Behinderung. Warum also sollten andere Schulen das nicht können?
///Die Bauhausschule in Cottbus ist eine Grundschule mit dem Schwerpunkt auf wettkampf-bezogenen Sport. Gleichzeitig ist sie eine inklusive Grundschule. Wo andere einen Widerspruch sehen würden, sieht Schulleiter Gregor Albrecht nur Vorteile. Sein Geheimnis: Einfach kommen lassen!
rbb 24
Am Beckenrand beginnt für die Bauhausschule in Cottbus die Inklusion
///Die Waldschule in Hatten nutzt digitale Techniken konsequent, um die Inklusion in der Schule voranzubringen. Hier gibt es Einblicke, wie das gelingt:
news4teachers
Digitale Inklusion: Wie Schulen mit Technik und Know-how Teilhabe ermöglichen
///Der NRW-Landtag beschäftigt sich mit dem Bericht seiner Enquete-Kommission zu Chancengerechtigkeit in der Bildung. Statt großer Linien einer Schulreform hat der Bericht jedoch nur eine Fülle von kleinteiligen Vorschlägen erarbeitet – eben solche, auf die die Fraktionen sich einigen konnten. Dies gilt auch für das Thema der schulischen Inklusion. Daran gibt es viel Kritik, darunter auch grundsätzliche:
bildungsklick
Kein Ende des bildungspolitischen Etikettenschwindels
///In Deutschland werden zum zweiten Mal weniger Kinder eingeschult, der Trend zu steigenden Schülerinnen*zahlen ist offensichtlich beendet. Der Anteil der Einschulungen an Förderschulen jedoch steigt.
news4teachers
Überproportional viele Jungen: Mehr Kinder an Förderschulen eingeschult – trotz Inklusion
///Auch im Nachbarland wird das System der Sonderschulen weiter ausgebaut. Dort spricht sich allerdings sogar die Caritas gegen diese Abkehr von der inklusiven Entwicklung aus. Die Lage ist ähnlich wie in Deutschland: Die Verantwortlichen tun viel zu wenig für den Aufbau der Inklusion, um dann anschließend zu behaupten, der Bau weiterer Sonderschulen sei unvermeidlich.
bizeps
Caritas, Diakonie, Jugend am Werk und Lebenshilfe Österreich: „Wir brauchen keine Sonderschulen – Wir brauchen gut gemachte Inklusion!“
///In Bayern kann eine körperbehinderte Schülerin seit Jahren nicht zur Schule gehen, weil die Eltern keine medizinisch-fachliche Schulbegleitung finden. Jetzt wird ihnen sogar ein Bußgeld wegen Verletzung der Schulpflicht aufgebrummt.
BR
Keine Schule für Isabella: Familie bestraft, weil Inklusion scheitert
///Das Bündnis Gemeinschaftssschule in Bayern kündigt für das kommende Jahr einen Fachtag für ein inklusives Gemeinschaftsschulsystem in dem Bundesland an:
///Erzieherinnen* äußern sich in jüngster Zeit extrem alarmiert über die zunehmende Zahl von Kindern, die nicht kommunizieren, weder mit Erwachsenen noch mit anderen Kindern. Sind das sämtlich Kinder mit Autismus? Nein, sagen jetzt Experten. Viele dieser Kinder wiesen zwar einzelne Merkmale von Autismus auf, seien aber nicht im klassischen Sinne neurodivergent. Sie seien in ihrer Hirnentwicklung geschädigt durch Bildschirmzeit in den ersten drei Lebensjahren.
TAGESSPIEGEL
„Virtueller Autismus“ durch Bildschirme: Das Kleinkind spielt nicht, spricht nicht, reagiert kaum (Paywall)
